Armut in Deutschland

by Cem Basman

Nach der Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe zu Hartz IV lebten 2005 etwa 6,8 Millionen Menschen in Deutschland auf dem Einkommensniveau der Sozialhilfe. Davon sind etwa 1,8 Millionen Kinder unter 16 Jahren. Diese Menschen aus der Armut zu führen, halte ich für die grösste nationale Aufgabe. Die Politik in Berlin, in den Ländern und in den Kommunen ist offensichtlich dazu nicht in der Lage. Im Gegenteil, sie hat die Situation in Deutschland in Teilen sogar noch verschärft.

Subventionierte Hochtechnologie, renommierte Großprojekte in der Industrie, medienwirksame städtebauliche Prestigevorhaben sind gut für das Ego von Politikern, schaffen aber keine Wege aus der Armut. Entvölkerte Landstriche im Osten, Slums in den Vorstädten der Ballungsräume sind dadurch nicht zurückzuholen in den Wohlstandsschoß der Gesellschaft.

Armut in Deutschland muss praktisch bekämpft werden, nicht nur durch sozialpolitische Maßnahmen des Staates. Ja, Armut in einem westlichen Industrieland kann auch wie in einem Dritte-Welt-Land angegangen werden. Aber mit modernen Mitteln. Durch unbürokratische Kleinkredite, durch Förderung von Handwerk und Manufakturen, durch soziale und kulturelle Projekte an den Brennpunkten, durch aktive Integration von Immigranten, durch Grassroots-Agenturen für Jobs, ...

Durch Einbindung der Armen und Nicht-Armen in aktive regionale, überregionale und internationale "Social Networks & Communities". Ist das nicht etwas, was Blogger besonders gut können? Nur, dass diese Communities real sind. Es muss doch möglich sein, aus dem virtuellen Egosystem ein reales Ecosystem zu initiieren. Ich würde mir das sehr wünschen. Das ist eine echte Herausforderung.

Armut ist eine tickende Zeitbombe. Sozial. Politisch. Geistig. Es ist die Aufgabe eines jeden, sie zu bekämpfen.

Heute tagt die Nationale Armutskonferenz in Berlin. [Mein Dank an den Mann aus Neukölln für den Hinweis]

Comments

Hallo Cem,

ich stimme dir ja gerne und oft zu – und auch ich halte die Bekämpfung von Armut für eine wichtige Aufgabe – und was du sagst, ist sicher richtig: Armut kann nicht durch sozialpolitische Maßnahmen bekämpft werden.

Doch auf der anderen Seite: Ich habe es bereits einmal versucht, was du da schreibst, „Einbindung der Armen und Nicht-Armen in aktive regionale, überregionale und internationale Social Networks & Communities" – es ist lange her, ich gebe es zu. Das Hauptproblem ist dabei ja vor allem, die „Armen“, die im Übrigen auf dem Papier oft wesentlich ärmer sind als in Wirklichkeit, dazu zu bewegen, sich helfen zu lassen.

Ich denke, du meinst es so: „Lasst uns Netzwerke bauen, in denen wir jeden Menschen einbinden könne, sodass er Aufgaben und Auskommen hat“ – ja, das könnten wir. Aber nur dann, wenn die Ansprüche bescheiden bleiben, und wenn jeder dann auch seine Fähigkeiten ohne Einschränkungen einbringt. Nach meinen Erfahrungen ist dies nicht der Fall: Wer jetzt, sagen wir einmal, nicht arbeitet und dennoch den Gegenwert von etwa 900 Euro an Geld- und Sachleistungen bekommt, wird nicht morgen 12 Stunden am Tag arbeiten, wenn er dann aus der Umlage der gemeinsamen Einkünfte ebenso nur 900 Euro bekommt. Oder doch? Man könnte es zumindest einmal wieder versuchen. Ich würde mich (je nach Art des Projekts) anbieten, kostenfrei dafür zu arbeiten. Im Moment habe ich dazu noch keine Zeit – doch das ändert sich schon bald.

Freundlichst

Gebhard Roese aka sehpferd

Gebhard Roese, 2006-03-28

Gebhard, „Lasst uns Netzwerke bauen, in denen wir jeden Menschen einbinden könne, sodass er Aufgaben und Auskommen hat“ ist eine gute Formulierung. Ja, so meine ich das. Das "soziale Netz" des Staates versgt langsam aber sicher. Lasst uns viele neue Netze knüpfen.

Cem Basman, 2006-03-28

Wie du inzwischen sicher gemerkt hast, bin ich eher konservativ, wie links. Und so kann ich auch hier nicht ganz zustimmen. Du hast natürlich Recht, dass die Bekämpfung der "Armut" das Ziel eines jedes Landes sein sollte. "Armut" lässt sich hier in Deutschland (und wohl auch sonst) mit Arbeitslosigkeit gleichsetzen. Und nach den letzten ifo-Zahlen bin ich optimistisch, dass es die nächsten 2 Jahre weiter aufwärts geht - möglicherweise langsam, doch stetig.

Über all dies sollten wir jedoch nicht vor betroffenheit den Mund nicht mehr zukriegen, sondern uns bewusst sein, dass diese Armut international verglichen immernoch an Reichtum grenzt. Nach der Definition lebe ich gerade so über der Armutsgrenze - und doch hab ich ein erfülltes, meiner Meinung nach in vielen Bereiche luxeriöses Leben. Allerdings schau ich auch genau, wo sich sparen lässt. Hier wird also wieder auf sehr hohrem Niveau "gejammert".
Als Punkte wo "Arme" sparen können führe ich zum Beispiel immer auf: Zigaretten, Alkohol, Haustiere, (Kabel-)Fernsehen, Spielkonsolen, Markenklamotten, Mobiltelefon, ...

Und vielen sehr armen Ländern, wo die Menschen nicht vor der Glotze den Tag vorbeiziehn lassen können, betreiben arme Kinder stattdessen Sport und dem ein oder anderen gelingt es raus zu kommen - mit schlechteren Vorraussetzungen, wie hier in D. Und so sehe ich auch für arme Kinder in Deutschland prinzipiell die Möglichkeit herauszukommen (, muss ja nicht Sport sein - Büchereien gibt es z.B. überall). Das größte Problem sind da jedoch die Eltern, welche oft von Anfang an die Kinder nur abstellen und vernachlässigen und ihnen so jede Chance nehmen.

Martin Hiegl, 2006-03-28

Martin, wenn eine Familie mit Kindern mit Hartz IV nicht mal annähernd bis zum Monatsende damit auskommt, dann hat das meist nichts mit "über ihre Verhältnisse leben" zu tun sondern ist echte Armut.

Natürlich leben Menschen beispielsweise in der Sahel-Zone oder in Kalkutta auf der Strasse auf einem unvorstellbar niedrigeren Lebensstandard. Diese Menschen zahlen aber nicht für Strom, Wasser, Miete oder Nahverkehrsmittel - weil sie nicht einmal das besitzen.

Armut ist relativ wie man sieht. Oder willst du deine Familie von der Jagd, von gepflückten Beeren und von Müll ernähren. Wir reden hier nicht von "Jammern auf hohem Niveau".

Das hat übrigens politisch auch nichts mit "links", "rechts", "oben" oder "unten" zu tun. Das ist Humanismus.

Cem Basman, 2006-03-28

Ich bin vor kurzem von meinem zweiten Besuch aus Mexiko Stadt zurückgekommen, wo meine Freundin ein Jahr lang als Deutschlehrerin arbeitet. Wir sind gereist, auch in Regionen, in denen Mexikaner Urlaub machen und die Ausländer nicht. So durfte ich das Land "ungeschminkt" ohne Touristikfilter erleben und ich bin heilfroh, in unserem ach so schlimmen Deutschland zu leben, wo ja alles den Bach runtergeht.

Und keinesfalls will ich sagen, dass Armut als solche gar nicht so schlimm ist. Aber ich will Martin recht geben: Wir leben in einem im Vergleich unglaublich reichen Land Deutschland in einer im Vergleich sehr reichen Region Europa. Erst in Mexiko habe ich gesehen, was Armut wirklich ist. Und Mexiko ist seinerseits, so sagte man mir, in Lateinamerika ein relativ reiches Land!

Natürlich sehe ich Tendenzen in Deutschland, die mir nicht gefallen. Speziell die Themen Staats- und Privatverschuldung. Aber ich sehe nicht, dass Deutschland ernsthaft auf dem Weg zu lateinamerikanischen Verhältnissen wäre.

Hanno Müller, 2006-03-28

Armut ist wie auch das Wirtschaftsleben "global". Berlin ist wie Mexiko Stadt nicht davon ausgenommen.

Ich erinnere mich, ich als in den 70er Jahren im Süden der USA war, in den Vororten von New Orleans, da liefen die Ratten am hellenTag über die Strassen und die Kinder hatten nur Lumpen an. In den gleichen Jahren Belfast oder Dublin. Das gleiche Bild. Das kann man sich nicht vorstellen. Heute ist Dublin ganz anders. Der grosse Teil der irischen Bevölkerung hat ihre Armut abgelegt. Belfast ist dabei stehen geblieben.

Deutschland beurtele ich momentan nicht so optimisch wie hier in den Kommentaren. Nicht für die knapp 7 Miliionen, von denen ich oben sprach. Von alleine, nur weil die Wirtschaft sich vielleicht statistisch sich etwas bewegt, wird da nicht viel passieren.

Marie Antoinette ist mal geköpft worden, als sie den hungernden Sansculotte, die nach Brot verlangten, zurief "Esst Kuchen!". Das passiert schneller als man denkt.

Cem Basman, 2006-03-28

Ich möchte mal in die gleiche Kerbe schlagen wie Hanno; ich habe ein Jahr lang in Kirgisien gelebt bei einer russischen Familie. Ja, sie hatten fließendes Wasser. Aber wenn nicht ich bei ihnen gelebt hätte und ihnen Miete gezahlt hätte hätten sie davon gar nichts gehabt weil sie auf der Straße gesessen hätten.
Ohne doppelten Boden und ohne soziales Netz.

Wenn über "Armut" in Deutschland gesprochen wird wird mir immer ziemlich schlecht.

Sebastian Krauß, 2006-03-28

Who cares? Deutschland wird aussterben. Die Deutschen kriegen keine Kinder mehr. Zuwanderer wollen wir nicht, die könnten uns ja was wegnehmen. Oder habe ich die aktuelle Politik in Sachen Osterweiterung u. a. falsch verstanden? Kriegsflüchtlinge die bei uns Hilfe und ein wenig Sicherheit gesucht haben und sich dann im Laufe der Zeit aus Ergeiz oder Dankbarkeit in Deutschland gut integriert haben werden erbarmungslos verfolgt und wieder aus dem Land, der Schule und der Ausbildung geworfen. Einzelfallprüfung, Ausbildung abschließen, soziale Verantwortung - Fehlanzeige. Sofort wieder raus, auch wenn der letzte Schuß gerade noch ausklingt. Die Polizei - die deutsche Polizei wohlgemerkt - schreckt ja nicht einmal mehr davor zurück ein dreijähriges Kind zu entführen um die Mutter zwecks Abschiebung auf die Polizeiwache zu locken. Das nenne ich echte Angst. Und es ist eine Visitenkarte. Seht her so sind wir - die Deutschen. Die jetzt in Armut aufwachsenden Kinder, und damit meine ich nicht nur die Hartz 4 Empfänger, sondern auch die Familien die knapp darüber liegen, werden groß. Und dann werden sie begreifen was ihr Land für sie getan hat - nichts. Und das werden sie dann auch für ihr Land tun - nichts. Und für die dann überalterte Bevölkerung - uns. Mit Unterstützung meine ich nicht Geld. Ich meine Achtung, Respekt, ehrliches Bemühen. Nichts davon ist zu sehen. Nur Lippenbekenntnisse verbunden mit der Bitte die Probleme vor einer anderen Haustür abzulegen. Wir sind reformunfähig - die Besitzstandswahrer werden schon dafür sorgen. Und Strg-Alt-Entf geht bei einem Staat auch nicht. Das Ausland wird zusehen - tatenlos, denn dort sitzen die Gewinner. Billiges Land (wenn wir nicht mehr sind), ausgebildete und motivierte Fachleute für die heimische Wirtschaft die Deutschland den Rücken gekehrt haben. Und da sich der kümmerliche Rest von uns sowieso nix mehr leisten kann, sind wir als "Wirtschaftsmacht" auch nicht mehr gefragt.

Richard Kaufmann, 2006-03-28

Guter Artikel und interessante Kommentare hier! Ich stimme Cem absolut zu. Auch ist es sicherlich richtig, die Armut in unserem Lande zu relativieren. Aber es ist auch richtig, dass es sicherlich nicht noch schlimmer kommen soll: keiner kann hier Verhältnisse wie in Mexiko Stadt oder noch schlimmer wollen. Ich denke, dass Armut einer der größten Hemmschuhe einer blühenden Gesellschaft ist. Armut beeinflusst Bildung und diese wiederum die Leistungsfähigkeit einer Gesellschaft, nicht zuletzt in wirtschaftlicher Hinsicht. Materielle und, wie Richard sagt, geistige Armut müssen überwunden werden.

Moritz Petersen, 2006-03-29

Armut ist eine tickende Zeitbombe, das stimmt. Sozialpolitische Gegenmassnahmen sind allerdings ein schleichendes Heilmittel.

Die "neuen Armen" in der Schweiz sind jugendliche "Secondos" (Kinder der zweiten Generation eingewanderter Menschen), welche sprachlich und allgemein schulisch schlechte Leistungen vorzuweisen haben sowie die grundlegensten Elemente des Umgangs miteinander (wie z.B. Pünktlichkeit) im Rahmen der Schweizer Kultur nicht beherrschen. Diese jungen Menschen sind arbeitslos oder beziehen gar eine Rente bei der Invalidenversicherung wegen psychischer Probleme, übrigens diejeine Sparte der IV, welche am schnellsten wächst. Die Schweizer Kantone investieren jetzt vermehrt in geschützte Werkstätten, wo diese jungen Menschen ihren Bildungsrückstand zumindest in den Basics wieder aufholen können.

Weitere Untersuchungen zeigen ausserdem, dass ein wesentlicher Anteil der Secondos schulisch und später berufsmässig sogar im Schnitt besser abschneidet als eine vergleichbare Stichprobe an Schweizern. Ist die Integration einmal geglückt, scheinen Secondos offenbar besonders motiviert, aus ihrem Leben das beste zu machen.

Fazit: Bildungspolitik ist immer auch Anti-Armutspolitik. Sie wirkt einfach nicht sofort.

Philipp Sury, 2006-03-29

Philipp, ich glaube mittlerweile auch immer mehr, dass "Bildung" der eigentliche Schlüssel für den Weg aus der Armut ist. Das Ergebnis lässt sich natürlich erst in 10-20 Jahren erkennen. Die nächste Herausforerung wäre, wie man diese Zeit bis dahin überbrückt?

Cem Basman, 2006-03-29

Was, wie äußerst häufig bei der Diskussion zu diesem Themenbereich, hier fehlt sind konkrete Ideen und Vorschläge. Ich kann mir leider nicht vorstellen, was "Social Networks & Communities" unter diesem Aspekt sein könne, wie diese aussehen, und was sie tun.
Konkret gibt es ja viele Möglichkeiten, wie sich der Einzelne engagieren kann. Beispielsweise bei den Tafeln, der Bahnhofsmission, als Nachhilfelehrer in Gemeindezentren, in Jugendzentren und und und. Oft wird viel zu viel geredet und zu wenig gehandelt.

Stefan Weigand, 2006-03-29

Nur Bildung und Aufklärung erhöhen den Volkswohlstand. Was sonst?
Das fängt schon im Kindergarten an. Wieso ist der freiwillig und kostenpflichtig?

Tobias Mueller, 2006-03-29

Ich will ja hier nicht den Neo-Marxisten spielen, aber Armut ist nunmal auch ein direkte Folge des Kapitalismus.

In einer Zeit, in der vielleicht 50% (oder weniger) der Bevölkerung 100% aller Industrie- Konsum, und Nahrungsgüter herstellen können, aber alle Menschen nur durch Arbeit (über)leben können, ist Armut zwangsläufig.

Bildung kann diesen Prozeß nur abfedern, niemals umkehren. Sicherlich werden die Zeiten für ungebildete Arbeitskräfte immer härter (Globalisierung sei Dank) aber es gibt auch jetzt schon zahlreiche hochqualifizierte Arbeitslose.

Übrigens, der Ansatz mit der Integration der Armen in regionale "Communities" halte ich für vielversprechend. Leider geht der Trend genau in die andere Richtung. Seit HarzIV kann Arbeitslosengeldempfängern der Kategorie 2 auch der Umzug in eine billigere Wohnung verordnet werden. Das führt meiner Meinung nach zwangsläufig zu Gettobildung.

Roland Dressler, 2006-03-29

Armut lässt sich nur durch Fleiß und Leistung beseitigen, nicht durch wohlgemeinte Umverteilungsaktionen. Wer zu Wohlstand kommen will, muss dafür etwas tun. Vor 50 Jahren war das noch jedem in Deutschland klar, offenbar ist dieses Bewusstsein in den letzten Jahrzehnten verlorengegangen.

Man kann es aber andernorts noch erleben: Dazu muss sich in ein wirtschaftlich aufstrebendes Land begeben. Dort sieht man Menschen, die zwar arm sind, aber sich wirklich anstrengen, damit es nicht dabei bleibt. Und wenn man's selber nicht schafft, sollen es die Kinder mal besser haben.

So etwas wäre in Deutschland verpönt - wer sich anstrengt, um voranzukommen gilt als Streber und Karrierist und erntet allenfalls Hohn und Missgunst, aber kaum Zustimmung und Ansporn. Und um die Unterhaltszahlungen für die Kinder wird sich gedrückt, indem man einfach aufhört zu arbeiten - der Staat wird's schon richten.

Die Hoffnung, dass der Staat die Armut beseitigen kann, sollte man ohnehin möglichst schnell fahren lassen. Dafür fehlen ihm die Mittel, die Staatsverschuldung hat bereits astronomische Höhen erreicht. Der Staat kann allenfalls wirksame Rahmenbedingungen für eine Kultur der persönlichen Leistungsbereitschaft setzen.


Dies ist wiederum kaum erkennbar: Bei einem fleißigen Nicht-Spitzenverdiener, der trotzdem jeden zusätzlichen Euro mit dem Spitzensteuersatz von 42 % versteuert bekommt, gibt es ein ganz einfaches Steuersparmodell: Faulheit! Denn für jeden Euro den er durch Faulheit weniger verdient, bekommt er 42 Cent Faulheits-Subvention vom Finanzminister zurück.

Der Low-Performer wird dagegen mit Steuerfreiheit belohnt. Der Non-Performer wird sogar komplett durchgefüttert, ohne dass er als Ausgleich irgendeinen Dienst an der Gesellschaft erbringen müsste!
Dass es bei dieser Ungerechtigkeit noch keinen Aufstand der Leistungsträger gegeben hat, lässt sich eigentlich nur durch die weitgehende Anonymität des Systems erklären: Müsste jeder sein sauer verdientes Geld direkt und in bar beim Sozialleistungsempfänger nebenan abgeben, der den Tag gemütlich auf der Couch vor dem Fernseher verbracht hat, während man sich selber den Allerwertesten aufgerissen hat, wäre die allgemeine Entrüstung groß!

Christian Zalto, 2006-03-30

@Cem: das war ein wirklich guter Beitrag. Armut ist hier existent, und nur wer hinschaut sieht sie.

Ich könnte hier ein Amt nennen, das früher mal Arbeitsamt hieß, bei dem garantiert NIEMAND das Telefon beantwortet, und Termine nur nach Vereinbarung an ganz wenigen Stunden des Tages gegeben werden. Ach, diese Überarbeitung der deutschen Beamten!

Der -möglicherweise im Deutschen nicht so bewanderte- Empfänger der reichlichen Hilfe in diesem ach so reichen Land kann sich auf eine wirklich freundliche Unterstützung gefaßt machen, wenn er in seiner Verzweiflung (GEZ-Gebühr - Unterstützung, Wohnberechtigungsschein etc...) dort auftaucht (Übersetzer suchen, hinfahren, Deutschkurs verpassen, abblitzen und auch keinen Termin kriegen, da die zuständige Kraft jetzt keine Zeit für eine Vereinbarung hat, nach 2 Stunden Wartezeit muß die Sachbearbeiterin pünktlich um 12.00 Uhr Feierabend machen, ver.di sei Dank für Gerechtigkeit).

Das Verhalten geht von Unverschämtheit über Verachtung bis Beschimpfung.

Ein Anruf beim OB - Büro mit freundlich vorgetragener Veröffentlichungsdrohung verschafft dann die Telefonnummer des Amtsleiters, der tatsächlich motiviert und freundlich weiterhilft (und auch den Hörer abnimmt!).

/*Ironie on*/ Die wirkliche Armut ist die der Beamten, in diesem Amt, aber auf völlig andere Art und Weise zu verstehen: geistige Armut. In einem 3.-Welt-Land kann man sich bei dringenden Angelegenheiten wenigstens mit moderater Bestechung weiterhelfen, unsere Zivilisiertheit läßt das ja nicht zu /*Ironie off*/

/*unfaires Beamtenbashing on*/ Vermutlich wären viele Probleme (Lohnnebenkosten, Steuern, Ineffizienz, Staatsverschuldung...) durch schlichten Beamtenabbau um 80% lösbar. Aber wer beschimpft dann noch den kaum Deutsch sprechenden Hartz IV-Empfänger, ist ja ein wichtiges Kulturgut /*unfaires Beamtenbashing off*/

Und ja: Ich kenne durchaus Beamte, die sich das Hinterteil abschuften. Und ja: Mir ist bekannt, daß auch abgeschaffte Beamte nahezu gleichviel kosten, und noch unproduktiver sind.

Armin Roth, 2006-03-30

Möglicherweise ist der Beamte durch mangelnde Förderungsmöglichkeiten der Vorgesetzten und zunehmende Verschlechterungen der Arbeitssituation - durch einfache Gesetzesänderung und nicht vorhandene Lobby - auch dermaßen unmotiviert, dass Engagement praktisch nicht mehr vorkommt.
Es ist ja nun nicht mehr wie zu Kaisers Zeiten, dass Beamter sein der ultimative Traum wäre...

Marc Petermax, 2006-03-30

Cem, Bildung mag der Schlüssel sein – leider auch der Schlüssel zu besser gebildeten (also de-facto schlechteren weil bewussteren) Konsumenten. Das steht so nicht auf der Agenda und deshalb passiert es auch nicht.

Karsten W. Rohrbach, 2006-03-30

Wo eigentlich bleibt die Eigenverantwortung? Ich lese in fast allen Beträgen, dass andere für die "Armen" etwas tun sollen/müssen. Es gilt immer noch der Satz " was nichts kostet, ist nichts wert". Es gibt immer Ausnahmen, aber fast jedes Unternehmen sucht gute Mitarbeiter, nur nicht zu jedem Preis. Aber was soll man von einer Gesellschaft halten, bei der Gewerkschaften das Recht auf Arbeit einklagen und gleichzeitig keine Möglichkeit auslassen uns zu erzählen, dass Arbeit etwas ist, was krank macht und das man möglichst kurz am Tag tun sollte. Wie sagte Lothar Späth vor kurzem. Die meisten Gewerkschaftsführer arbeiten mehr als 45 Stunden um ihren Mitgliedern zu erklären, warum sie nur 35 arbeiten sollten.

Wer sagt eigentlich, dass ich mit Hartz IV auskommen soll. Aber es gehört doch zum sozialen Muss ein Handy, eine Fernsehschüssel und ein Auto zu haben. Und wer hat die Schulden der einzelnen eigentlich produziert? Ich bin immer noch der Meinung, dass wenn ich wirklich will, kann ich es auch schaffen.

Wolfram Votteler, 2006-03-30

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