Gute Analyse

by Volker Weber

Andreas Nölting: Die Abwrackprämie

Comments

Tja, in der globalen Wirtschaft wird auch das Abwracken exportiert.

Philipp Sury, 2006-09-28

Das ist z.Z. in der ganzen Industrie der grossen Service Provider international der Regelfall. Unrentable Betriebsteile oder Tochtergesellschaften insbesondere für Massenprodukte oder Massenservices werden abgestossen, die Käufer erhalten Bargeld und Aufträge obendrauf, um die kommenden 2-3 Jahre zu überbrücken. Im Prinzip ist zunächst dagegen auch nichts einzuwenden, wenn es dabei klare und nachhaltige Geschäftskonzepte der Käufer gäbe. In der Realität unterschätzen die Käufer aber die Komplexität des Deals und planen eher nur kurzfristig. Am Ende bleiben die so erworbenen Betriebe kaum erhalten, wenn das "Brautgeld" aufgebraucht ist. Es ist ein Multi-Millarden Geschäft und für Verkäufer und Käufer recht "risikofrei".

Ich beobachte (und dokumentiere mittlerweile) den Markt im Bereich IT Services seit vielen Jahren täglich. Eine Nachmittags-Soap ist nichts dagegen ...

Cem Basman, 2006-09-28

Wobei das Argument mit dem teuren Produktionsstandort in diesem Beispiel wie Hohn klingt. Bei einer Produktionskapazität von 70 Mio Handys wären das pro Handy Personalstückkosten von
70 Mio : (6000 Beschäftigte *5000 Euro pro Monat * 13 Monatsgehälter) = 18 Cent (wo hab ich mich verrechnet ???)
So gab es nach der Übernahme von Benq zwar vereinzelt neue Modelle, allein man konnte sie nirgendwo kaufen. Leider wurden auch nicht annähernd 70 Mio Stück verkauft. Das Beispiel Siemens-Benq taugt nicht für eine Standortdiskussion. Wenn wir in Deutschland nicht einmal Handies produzieren können, was dann (Haushaltsgeräte auf keinen Fall und da hat Siemens auch noch etwas im Programm)?
Herr Kleinfeld hat das getan was ich von Ihm erwartet habe aber auch er wird irgendwann feststellen, daß er immer eine Sparte haben wird, die auf dem letzten Platz im Konzernranking steht. Wenn er seine Strategie weiterverfolgt könnte also der Spruch von früher doch noch Realität werden. Eine Bank, dann aber ohne angegliederte Werkstatt. Kapitalerträge werden in Deutschland sowieso günstiger besteuert warum also lästige Produktion betreiben.
Siemens boykottieren möchte ich nicht, ich bin einfach nur traurig.

Henning Heinz, 2006-09-28

Anstatt rumzujammern sollte BenQ Deutschland lieber zusehen was zu retten ist. Insolvenz heisst nicht Konkurs, offensichtlich ist das in Deutschland immer noch nicht bekannt ....

ingo harpel, 2006-09-28

Henning, irgendwie hast Du da nicht "Euro pro Handy" sondern "Handies pro Euro" ausgerechnet. Soweit ich das richtig verstanden habe, sind es aber "nur" 3000 Beschäftige. Bei meiner Rechnung komme ich dann auf €2,78 pro Handy.

Der Artikel im MM deckt sich aber genau mit meinen ersten Gedanken. "Hier haste 250 Mio, mach Du die Drecksarbeit, ich möchte mir den Stress nicht antun und kümmere mich lieber um meine 30% Gehaltserhöhung".

Joerg Michael, 2006-09-28

Henning, "Personalstückkosten" sind nur ein kleiner Aspekt. Die Herausforderung, vor der wir stehen, sind die sogenannten Rapidly Developing Economies, die den eigentlichen Wind der Globalisierung entfachen. Und das aus gutem Grund.

Eine "Siemens" gehört dem vorvergangenem Jahrhundert an. Ein Herr Kleinfeld wird daran nichts ändern können. Gegenwärtig findet eine unumkehrbare und gewaltige weltweite Kräfteverschiebung statt: In Wirtschaft und Politik. Etwa 15-20 Staaten wie China, Indien, Brazilien, die Philippinen, aber auch die Türkei, Tschechien und weitere - die Schwellenländer eben - sind Herangewachsen und zeigen uns auf perfekte Weise, was die klassische westliche Welt vorgemacht hat. Genauso aggressiv und selbstbewusst wie damals Thyssen & Krupp, Carnegie & Rockefeller, Walt Disney & Gottlieb Daimler.

In den 20er und 30er Jahren unseres neuen Jahrhunderts werden wir eine andere Welt vorfinden. Ob wir das wollen oder nicht.

Cem Basman, 2006-09-28

Dank Jörg, 2,78 Euro klingt aber leider auch nicht viel besser (selbst wenn es 10 Euro wären). Kurz nach der Übernahme hatte ich mal die 70 Mio und 6000 Beschäftigte gelesen.
Der Mutterkonzern hat ja schon angedeutet , daß er in Taiwan weiterproduzieren möchte. Da bleibt dann wohl leider nicht viel übrig um das man kämpfen könnte. Das gute Geschäft hat aber wohl nicht BenQ gemacht sondern eher Siemens.

Henning Heinz, 2006-09-28

Ich geb jetzt gleich Ruhe aber der Fatalismus von Cem, wie Ihn teilweise auch Professor Sinn vertritt, kann ich nicht teilen. Im übrigen glaube ich auch nicht, das wenn man die Produktion komplett aus Deutschland verlagert, die Ingenieurleistung dauerhaft hier zu halten sein wird.
AVM fällt mir spontan auch als Gegenbeispiel ein wie man abseits vom Wehklagen über die Globalisierung tolle Produkte zu akzeptablen Preisen produzieren kann wenn das Gesamtkonzept stimmt.
Und aus einem Fließbandarbeiter macht man sowieso keinen Ingenieur mehr. Wir können es uns dauerhaft gar nicht leisten (im wahrsten Sinne des Wortes) die Arbeitskraft von Millionen Bürgern brach liegen zu lassen, selbst wenn man die Sozialleistungen weiter herunterkürzt.
Wir brauchen auch Produktion in Deutschland und Konzerne wie Siemens die abseits der jährlichen Bilanzzahlen auch mal den Mut haben etwas zu riskieren (wer soll es denn sonst machen).

Henning Heinz, 2006-09-28

Ich finde folgende Rechnung viel interessanter:
250 Mio. EUR Mitgift : 3.000 Mitarbeiter = 83.333,33 EUR Abfindung pro Mitarbeiter,
wovon alle Beteiligten vermutlich mehr gehabt hätten ...

Frank Neuhaus, 2006-09-29

Ich bin über den Artikel des Manager-Magazins UND über die Meinungen hier dazu doch etwas schockiert. Diese "so-läuft-eben-das-Business" Mentabilität bringt uns doch Null weiter. Eher möchte ich hier mal Herrn Wiedekind ins Spiel bringen der u.a. auch erkannt hat, daß jeder exportierte Arbeitsplatz die Kaufkraft in den Hochlohnländern weiter reduziert. Diese Spirale wird niemals durch die Zuwächse in den Billiglohnländern kompensiert werden. Der Arbeiter in China, der für 10 Euro einen Monat arbeitet wird nämlich nie ein BENQ-Siemens Handy kaufen können. So zieht sich die Weltwirtschaft letzlich nur selbst in den Abgrund.

Zu Kleinfeld: Entweder hat er sich über den Tisch ziehen lassen oder der Verkauf war schlicht skrupellos. Ich halte erstere Variante für gar nicht so abwegig.

Ansonsten möchte ich mich der Meinung von Henning anschliessen. Wenn man nicht mal mehr den Mut hat, seine eigene Leute vor die Tür zu setzen, dann ist der Unternehmensstandort Deutschland inzwischen wirklich am Arsch. Oder glaubt ihr, ein Kleinfeld wird jemals etwas innovatives zu Stande bringen ?

Roland Dressler, 2006-09-29

Ich denke mal, meine Aussagen haben weder mit "Fatalismus" noch mit der ""so-läuft-eben-das-Business Mentalität" zu tun. Die weitvoranschreitende Globalisierung lässt sich mit Protektionismus und lokalen Massnahmen nicht aufhalten. Die Wirtschftsgeschichte hat das zu allen Zeiten und zu allen Regionen zur genüge gezeigt. Man muss eher die Herausforerung annehmen und im Wettbewerb die bessere Alternative bieten. Dazu muss man eben als Gesellschaft auch fitter werden.

Cem Basman, 2006-09-29

Cem ich möchte deinen Ausführungen heftigst wiedersprechen. Ich kann gar nicht genug gegen dagegen aufführen. Aber machen wir uns es mal einfach:

Wie Protektionismus erfolgreich funktioniert zeigen uns z.B. die Chinesen. Die (Industrie)Wirtschaftsgeschichte selbst ist so alt nicht, als daß man da große Lehren ziehen kann.

Und wenn uns sämtliche Werte wie die Abschaffung der Kinderarbeit, Arbeitnehmerschutz, den Einklang von Ökonomie mit Ökologie, Mitbestimmung usw. so egal sind daß wir sie, nur weil eben auf einmal "Globalisierung" angesagt ist, sofort über Bord werfen, dann sage ich wirklich nur noch "Gute Nacht, Abendland !".

Ich halte Protektionismus für ein legitimes Mittel. Keiner hat was dagegen daß andere Länder reich werden, auch wenn es auf Kosten unseres Wohlstands geht. Aber die Umwelt ruinieren, die Menschen ausbeuten, Kinder zur Arbeit zwingen, Menschenrechte mit den Füßen treten usw. das ist ja wohl mehr als unlauterer Wettbewerb.

Nein, ich empfehle wirklich den Spiegel Artikel vor 2 Wochen (oder 3), Stichwort "Angriff aus Fernost". Dort wurde recht deutlich klargestellt daß wir uns im Prinzip im Krieg befinden. Schon heute kann die chinesische Regierung mit einen Fingerschnippen die USA in den Konkurs reissen indem sie einfach ihre Billionen an Dollarreserven auf den Markt wirft. Noch hat sie kein Interesse daran, aber das wird sich schon noch ändern.

Der Vergleich mag hart klingen. Aber die Globalisierung als ein nicht änderbares Faktum abzutun ist ebenso bescheuert wie sich vor einer Diktatur zu beugen wie es die deutsche Wirtschaft vor etwas über 60 Jahren getan hat.

Roland Dressler, 2006-09-29

Ist schon ein interessantes Spiel. Auch auf dem IT-Sektor. Die Inder werden ja auch langsam aber sicher zu teuer. Also ersetzen die Chinesen die bisher billigen Inder. Aber was passiert, wenn die Chinesen dann auch "zu teuer" sind? Wird dann die US-Westküste das neue IT-Billiglohn-Land?

Joerg Michael, 2006-09-29

@Joerg: Der Preis ist nur ein Faktor. Die anderen beiden Faktoren sind Verfügbarkeit von Knowhow und Qualität der Arbeit. An den beiden ersten schwächelt Europa.

Aber mal im Ernst, haben nicht die Europäer (Engländer) Mitte des vorvorigen jahrhunderts durch ihre billige maschinengestütze Textilindustrie die hochwertige Heimarbeit von Webern in Indien kaputtgemacht und die damaligen Handwerker an den Bettelstab gebracht? Haben nicht die Kolonialmächte die Kautschukpflanze, Zuckerrohr und den Kakao heimlich in andere Länder gebracht und vermehrt und damit ganze Regionen in den Ruin getrieben?

Wer hat damals geklagt? Globalisierung ist also nicht neu. Im Gegenteil. Und Wirtschaftgeschichte gibt es seit Anfang der Menschheit. Und wozu die ehemalige Protektion der viktorianischen Engländer geführt hat, wissen wir auch alle: Vom ehemaligen Stigma zum Gütesiegel "Made in Germany" ;) ... Lamentieren nützt nichts. Schimpfen auch nicht. Zeigt ein Finger auf die anderen zeigen drei auf einen selbst.

[So, nun genug zum Thema]

Cem Basman, 2006-09-29

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