Totalschaden einer Kundengewinnung

by Volker Weber

vespaIn Darmstadt gibt es zwei Vespa-Händler. Beim einen haben wir im Laufe der Jahre zwei Vespas gekauft. Auch wenn der Laden sehr kompetent ist, hat mir der etwas harsche Umgangston dort nicht gefallen. Nach dem Diebstahl (und dem Wiederfinden) war nun eine Reparatur fällig und ich wollte nun dem anderen eine Chance geben, einen neuen Kunden zu gewinnen. Und das ging für diesen Händler ziemlich in die Hose.

Geklaut wurde der Roller zwischen Mittwoch 20 Uhr und Donnerstag 15 Uhr, wahrscheinlich in der Nacht. Bei der Polizei haben wir das um 16 Uhr angezeigt und um 17 Uhr haben wir den Roller wiedergefunden. Er war so schwer beschädigt, dass ich ihn nicht fahren konnte. Den Händler habe ich Freitag informiert und am Samstag hat er den Roller geholt. Am darauf folgenden Montag habe ich mich erkundigt und der Händler meinte, das sei ein wirtschaftlicher Totalschaden. Wiederbeschaffungswert 775 Euro, Rahmen müsse getauscht werden. Reparatur bestimmt 1000 Euro. Die Versicherung schickte einen Gutachter. Der stellte einen Restwert von 975 Euro fest und Reparaturkosten in Höhe von 1475 Euro.

Letzten Samstag sind wir dann zu dem Händler gegangen, um eine Lösung zu finden. Dabei hat er versucht, uns den Roller madig zu machen. Der Gutachter habe nicht genug Arbeitszeit aufgeschrieben. Das würde noch mal 200 Euro mehr kosten. Und überhaupt, er würde damit nicht mehr fahren. Wenn da was an der Lenkung wäre. Nein, das mache wirtschaftlich alles keinen Sinn. Den alten Roller könne ein Bekannter in Zahlung nehmen. Für 250 Euro. Woher er den Preis wisse? Der Bekannte habe den Roller schon gesehen und das angeboten. Eine Telefonnummer habe er nicht. Der Bekannte käme ab und zu und vorbei. Kann der Bekannte denn vielleicht anrufen? Ja, aber es kann sein, dass der erst in zwei Wochen wieder vorbei komme ...

Riecht hier jemand was? 250 Euro für eine Vespa in perfektem Pflegezustand mit 3400 km?

Ich habe das Gespräch freundlich beendet und mir Bedenkzeit erbeten. Vorgestern bin ich dann zu einem echten Handwerker gegangen. Ich hielt den Roller noch für unfahrbar und schlug vor, er solle den Händler am Dienstag aufsuchen und, falls er sich die Reparatur zutraue, solle er den Roller gleich mitnehmen. In der Mittagspause hinterließ ich entsprechende Instruktionen auf dem Anrufbeantworter des Händlers. Zwei Stunden später ein Anruf. Der Abholer müsse aber fünfzig Euro für die bisher angefallen Arbeiten berappen. Ich schlug statt dessen vor, dass ich diesen Betrag bezahlen würde. Das müsse ich aber tun, bevor der Roller abgeholt würde, sonst könne er ihn nicht herausgeben. Ich sparte mir die Diskussion, ob man ein Fahrzeug zur Geisel nehmen dürfe und schlug vor, dass ich umgehend zum Bezahlen komme.

Auf meine Frage, ob der Roller denn fahrbar wäre, meinte der Händler, er sei auseinander gebaut. Erst auf insistierendes Nachfragen hieß es, ja er sei fahrbar. Nun, wo erkennbar wurde, dass dieses Fell wohl wegschwimmen würde, war der Händler wieder sehr kooperativ. Nach dem Kassieren der 50 Euro und Ausstellen einer Quittung, half er mir, alles provisorisch zusammenzuschrauben, eine Sicherung zu ersetzen und erklärte mir die Bedienung ohne Zündschlüssel.

Mit dem Handwerker ging das dann ganz schnell. Ersatzteile für 45 Euro, kompetent geliefert aus dem großen Ersatzteilbestand des anderen Vespa-Händlers, gut angelegte 175 Euro Arbeitszeit, und heute fährt der Roller wieder. Jetzt warte ich noch auf zwei Karosserieteile für zusammen 40 Euro und das Abenteuer ist beendet. Das macht dann Summa Summarum 50 + 45 + 175 + 40 = 310 Euro. So schnell macht man aus einem wirtschaftlichen Totalschaden eine wunderbar funktionierende Vespa.

Bis letzten Samstag hat der Händler alles richtig gemacht. Er hat die richtigen Vorarbeiten gemacht, mit dem Sachverständigen gesprochen und sich seine 50 Euro verdient. Aber dann ist er zu gierig geworden. Er hätte ein ehrliches Angebot für den Ankauf der kaputten Vespa machen können, er hätte eine faire Reparatur anbieten können. Statt dessen hat er Reparaturkosten weiter hochgeschraubt und die Nummer mit dem telefonlosen Aufkäufer abgezogen.

Der Handwerker meinte nur: "Was glauben Sie, wie oft der mit so was durchkommt?"

Comments

Wärst Du in Berlin, könnte ich Dir zwei sehr gute Vespaschrauber meines Vertrauens empfehlen. Beim einen war ich neulich, weil ich mit dem Gedanken spielte, meine mittlerweile doch etwas angedengelte ET2 lackieren zu lassen, und er hat mir offen und ehrlich vorgerechnet, was das kosten würde und das es sich rein wirtschaftlich nicht lohnen würde. Fand ich fair und seitdem fahr ich die Möhre eben so, wie sie ist.

Alexander Hauser, 2007-06-07

Ah, Vespa-Verbrecher! Nun weiß ich, warum mir mein Händler nie einen einzelnen Rückspiegel verkaufen will. Gibts nur als Paar...

Die Servicefreundlichkeit erinnert mich immer an meinen Fahrrad-Händler: Selbiger hat das Mantra des DDR-Einzelhandles ("Ham wa nicht!") um das "Müssen/können wir aber bestellen." erweitert.

Martin Kautz, 2007-06-07

Diese Probleme ziehen sich doch alle Gewerke. Als Radio- u. Fernsehtechniker habe von meinen Kunden schon ähnliche Storys gehört. Geräte mit Fehlern wie 'Reparatur lohnt nicht, da zu teuer' oder 'keine Ersatzteile mehr lieferbar' konnten teilweise ohne weiteres kostengünstig repariert werden. Ich glaube es liegt an einer Mischung aus Gier und Inkompetenz der Handwerker. Aber der Kunde entscheidet und eine Image ist schnell ruiniert.

Wolfgang Pries, 2007-06-07

Das scheint ein grundsätzliches Problem der Zweiradindustrie zu sein. Wenn wahrscheinlich auch nicht nur. Aber bis ich in Berlin und nun in SB einen vernünftigen Schrauber gefunden hab, verging auch einiges an Zeit. Fängt an mit einem simplen Blinker für den doppelten Preis, den Louis, Polo etc. aufrufen. Geht über ein Ritzel, das zwangsläufig mit einer neuen Kette montiert werden *muss*. Von solchen Dingen, wie das Wechseln des Motoröls, obwohl das noch taufrisch war, gar nicht erst zu reden.

Der Zweiradbranche geht es ziemlich mies, da versuchen die aus einem Cent 2 rauszupressen. Dass man sich damit mittel- oder langfrisitg ins eigen Fleisch schneidet, das wissen die ganz sicher. Aber kurzfristig ist es halt ein neuer verkaufter Roller (oder hätte es sein können). Aber schlussendlich gibt es da nicht mehr oder weniger Verbrecher als woanders auch.

Ralf Stellmacher, 2007-06-07

In meinem Fall hat sich der Händler mit großkalibriger Waffe den Fuß weggeschossen. Ich kenne hier relativ viele Leute und spreche nun Empfehlungen aus.

Volker Weber, 2007-06-07

@Martin Kautz: die Spiegel werden vom Hersteller wirklich nur im Doppelpack geliefert! Es müssen ja nicht die Original-Ersatzteile sein, die vom Dritthersteller tun es auch!

Alexander Hauser, 2007-06-07

Da fällt mir nur mein alter Spruch wieder ein: "Nicht der Verkäufer ist der Dumme".

Maik Endler, 2007-06-08

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