Herr Innenminister und die demokratische Grundordnung

by Ragnar Schierholz

Man sollte meinen, dass ein Innenminister die demokratische Grundordnung in- und auswendig kennt. Letztenendes ist ja eine seiner Hauptaufgaben deren Schutz sicherzustellen. Der Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble scheint's da nicht ganz so genau zu nehmen. Erschreckend, wie offenbar unbeschwert sich Herr Schäuble über die demokratische Grundordnung hinwegzusetzen gedenkt...

In einem Interview mit der Welt sagt Schäuble:

"Alle grundrechtlich geschützten Bereiche enden irgendwo. Wo diese Grenzen sind, wie man die gegensätzlichen Interessen abgrenzt, ist Sache des Gesetzgebers. Ich verstehe, dass manche Verfassungsrichter gern Ratschläge geben würden. Dazu sind sie aber nicht demokratisch legitimiert."

Falsch, Herr Schäuble! Die Verfassung (das Grundgesetz) steht über den Gesetzen. Das heisst, nicht die Verfassung ist durch Gesetze begrenzt, sondern die Verfassung setzt den Rahmen, in dem der Gesetzgeber Gesetze erlassen kann. Das Bundesverfassungsgericht ist dabei die Kontrollinstanz, welcher die Beurteilung der Verfassungskonformität der Gesetzen obliegt. Und das Verfassungsgericht ist insofern sehr wohl demokratisch legitimiert, als dass seine Richter von den demokratisch gewählten Vertretern berufen werden. Allerdings nicht für jede Verfassungsklage individuell und nach dem Gusto des jeweils klagenden oder verteidigenden Innenministers...

Ein so denkender Innenminister und ein Verteidigungsminister, der offen sagt, er werde im Ernstfall Flugzeuge abschiessen lassen, egal was das Verfassungsgericht sagt... da kann einem schon Angst und Bange werden!

Update: Zumindest die liberale Opposition scheint die Verfassung zu kennen. Danke, Herr Westerwelle und Frau Leutheusser-Schnarrenberger! (Ich hätte nie gedacht, dass ich das mal sagen würde...) Frau Pau, wer im Glashaus sitzt... Ein gespaltenes Verhältnis zum Grundgesetz sollte die SEDLINKE evtl. nicht so laut monieren.

Comments

Unterschreib!

Martin Hiegl, 2008-01-21

Herr Schäuble ist in der jüngsten Vergangenheit mehrfach mit merkwürdigen Auffassungen über Recht und Gesetz aufgefallen.

Für mich ist er schon lange unerträglich geworden und als Minister nicht mehr tragbar. Deshalb ist es doppelt unheimlich, dass er innerhalb der Regierung ausreichend Rückhalt für seine Scharfmacher-Sprüche hat.

Hanno Zulla, 2008-01-21

Da Politiker sich ohnehin fast ausschließlich darüber definieren was sie sagen, unterstelle ich jetzt mal, daß das erst recht für ihre Positionen/Funktionen gilt.

Daß jemand konstant Aussagen treffen darf, die klar erkennbar diametral zu seinem Posten sind, ohne daß er dafür aus dem Amt befördert werden kann, ist schade. "Weil er gewählt wurde" ist irgendwie kein Argument mehr angesichts einer so gefährlichen Grundeinstellung wie der von Herrn Schäuble.

Martin Böhm, 2008-01-21

Big Up, Mr. Schierholz!

Jan Pielhau, 2008-01-21

Volle Zustimmung!

Ich finde es erschreckend, welcher Weg hier seit langem konsequent verfolgt wird, dessen Ziel man nur ahnen kann und scheinbar lange noch nicht erreicht ist.

Das Grundgesetz ist wohl keine echte Verfassung aber auch nicht nur ein Gesetz, das man nach Belieben ändern kann. Man sollte wissen was man tut, wenn man am Fundament eines Hochhauses herumbastelt. Da muss man einen echten, guten Grund haben.

Außerdem ist es echt belastend dauernd das Gefühl haben zu müssen, dass man es besser als die eigenen Politiker weiß. Früher war das besser.

Andreas Pfeifle, 2008-01-21

Aber immerhin kann sowas noch als schlechtes Beispiel dienen. Irgendwo da draußen verwenden Gemeinschaftskundelehrer Schäubles Zitate als Material für Klassenarbeiten. Und erklären dann "Nein, Kevin, das Zitat ist jünger".

Jochen Lillich, 2008-01-22

Das Grundgesetz wurde aus gutem Grund geschrieben, nämlich aus den Erfahrungen mit der Nazi Zeit. Das jetzt versucht wird dies zu demontieren ist erschreckend und sollte uns alle aufschreien lassen. Schäuble ist schon lange untragbar und es ist erschreckend das er auch noch Unterstützung findet.

Detlev Buschkamp, 2008-01-22

@Andreas: Das Grundgesetz ist sehr wohl eine Verfassung, nämlich die der Bundesrepublik Deutschland (siehe hier).

Die Länder haben zwar in einigen Bereichen die staatliche Souveränität und auch jeweils ihre eigenen Verfassungen. Der Artikel 28 Absatz 1 des Grundgesetzes regelt aber, dass eben diese Länderverfassungen "den Grundsätzen des republikanischen, demokratischen und sozialen Rechtsstaates im Sinne dieses Grundgesetzes entsprechen" müssen.

Die Tatsache, dass das Grundgesetz nicht Verfassung heisst, hat m.W. den Grund, dass man damals nicht mit einer westdeutschen Verfassung, die auch diesen Namen trägt, die deutsche Teilung noch weiter untermauern wollte. Das Grundgesetz erfüllt aber alle Funktionen und hat alle Attribute einer Verfassung.

@Detlev: Das Grundgesetz wurde wohl in erster Linie deshalb geschrieben, weil der neue Staat eine neue Verfassung brauchte. Allerdings stimmt sehr wohl, dass man dabei aus den Erfahrungen aus der Weimarer Republik und der Nazi-Zeit gelernt hat. Eines der wesentlichen Elemente, die aus solchen Überlegungen heraus entstanden sind, ist das konstruktive Misstrauensvotum. Entgegen der Weimarer Verfassung ist es nach dem Grundgesetz dem Parlament nicht möglich, die Regierung abzuwählen ohne eine neue Regierung (mit entsprechender Mehrheit im Parlament) zu stellen. Damit wird ein Neuwahl-Reigen wie in der Weimarer Republik verhindert, denn eine Regierung ist solange im Amt, bis ihre Amtszeit regulär endet oder das Parlament sich innerhalb der Legislaturperiode auf eine neue Regierung verständigt.

Ragnar Schierholz, 2008-01-22

Ich verstehe diesen Beitrag nicht.

Man mag den Schäuble blöd finden und seine ständigen Bestrebungen, unsere bürgerlichen Freiheiten zu beschränken kritisieren, aber man muß schon das angreifen, was er gesagt hat.

Er hat z.B. *nicht* gesagt, daß die Verfassungsrichter nicht demokratisch legitimiert wären; darauf muß man dann vielleicht auch nicht unbedingt eingehen. Gesagt hat er, daß sie in der Verfassungsordnung nicht dazu legitimiert sind, Ratschläge zu erteilen. Damit hat er übrigens recht, und es ist fraglich, ob die Tendenz, sich zu allem ohne Auftrag mit Verfassungsbedenken zu äußern, nicht den Gestaltungsspielraum der Politik *vor* einem eventuellen Normenkontrollverfahren einschränkt, wenigstens aber das Ansehen des Gerichts beschädigt. Das Normenkontrollverfahren könnte ja zu einem ganz anderen Ergebnis kommen als es der Auffassung eines einzelnen Richters entsprach.

Das Verfassungsgericht hat kein Mandat, proaktiv von sich aus tätig zu werden, und mischt sich entsprechend nicht selbständig ein.

Ebenso ist die demokratische Grundordnung nicht das Grundgesetz, aber das darf gern jeder für sich nachschlagen. Es sei nur soviel gesagt, daß es im Rahmen dieser Ordnung Spielraum für Veränderungen selbst des Grundgesetzes gibt, und daß dieses tatsächlich den Rahmen vorgibt, in dem durch den Gesetzgeber Rechte eingeschränkt werden können. Man denke nur an die Beschränkung der Freizügigkeit verurteilter Straftäter...

Man kann Schäuble viel nachsagen, aber wohl kaum, daß er juristisch in so grundlegenden Punkten ahnungslos wäre. Ich würde deshalb vorschlagen, Kritik vielleicht eher politisch als juristisch zu begründen.

Jan Tietze, 2008-01-24

Jan, die Frage des Journalisten zielte auf die Debatte, "was im Kampf gegen Terrorismus erlaubt ist". Bei diesem Thema ist das Verfassungsgericht sehr wohl angerufen worden und hat ja z.B. mit dem Luftsicherheitsgesetz auch bereits ein Gesetz als verfassungswidrig zurückgewiesen, mit entsprechenden Hinweisen, was der Gesetzgeber zu beachten habe. Genau über diese Zurückweisung des Gesetzes will sich Herr Jung offenbar im Zweifelsfall hinwegsetzen und Herr Schäuble scheint das gutzuheissen.

Ich sage nicht, dass Herr Schäuble "in juristischen Punkten ahnungslos wäre". Als promovierter Jurist dürfte er über weit überdurchschnittliches Wissen auf diesem Gebiet verfügen. Allerdings stellt er für meinen Geschmack im Moment andere Argumente in den Vordergrund und die kann ich nicht nachvollziehen, m.E. widersprechen sie eben unserer demokratischen Grundordnung. Dass diese nicht nur aus dem Grundgesetz besteht, ist mir auch klar. Das Grundgesetz zu ändern ist aber nicht Aufgabe der Regierung, sondern die des Parlamentes und zwar mit 2/3 Mehrheit. Und das Grundgesetz spielt in der demokratischen Grundordnung eine sehr wichtige Rolle, es ist nämlich die schriftliche Fixierung wesentlicher Grundlagen in Gesetzes-/Verfassungsform. Andere Länder, bspw. Grossbritannien, kommen auch ohne schriftliche Verfassung aus. Dort kann die Regierung ohne höhere Kontrollinstanz Gesetze erlassen.

Ragnar Schierholz, 2008-01-25

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