Fassungslos

by Volker Weber

Was mich an den Bildern aus Ferguson fassungslos macht, ist der Umgang mit Waffen. Dabei sollte man gerade bei den amerikanischen Waffennarren erwarten, dass sie damit umgehen können.

Was weiß ich darüber? Ich bin an vier Schusswaffen ausgebildet und habe damit geschossen: Pistole, Maschinenpistole, Sturmgewehr, Maschinengewehr. Anders als die Generation vor mir musste ich niemals auf einen Menschen zielen, ihn verletzen oder gar töten. Für Leser, die diese Ausbildung nicht haben, ein paar Erklärungen:

  1. Es gibt drei Zustände einer Waffe: ungeladen, teilgeladen, fertiggeladen. Ungeladen heißt, es ist keine Munition in der Waffe. Teilgeladen heißt, die Waffe ist geladen aber nicht schussbereit. Fertiggeladen heißt, mit dem Abzug kann man einen Schuss auslösen. Unabhängig davon haben die meisten Waffen noch eine Sicherung.
  2. Es ist völlig unsinnig, mit einer ungeladenen oder teilgeladenen Waffe zu zielen. Die Waffe ist nicht schussbereit. Man muss also ohnehin erneut zielen.
  3. Ein ausgebildeter Soldat wird nur dann zielen, wenn er auch schießen wird. Das heißt, seine Waffe ist fertiggeladen und ungesichert.
  4. Will der ausgebildete Soldat drohen, aber noch nicht schießen, trägt er eine teilgeladene und gesicherte Waffe, Hand am Abzug, Mündung gesenkt. Dann gibt es mehrere Eskalationen: fertigladen, entsichern. Aber immer bleibt die Waffe gesenkt.*
  5. Die Präzision einer Waffe hängt stark von der Körperhaltung des Schützen ab. Liegen, sitzen, stehen, gehen, laufen, in der Reihenfolge wird es immer schlechter. Der Tatortkommissar, der im Laufen mit einer Pistole einen Reifen zerschießt, gewinnt auch spielend jedesmal im Lotto.

Mit diesem Wissen schaut man sich mal die Polizistendarsteller in Ferguson an. Die gehen (!) mit Waffe im Anschlag und zielen (!) auf Demonstranten (!). Entweder sind die ahnungslos, oder sie tun nur so als ob, oder sie sind völlig durchgeknallt. Ich befürchte letzteres.

Dazu kommt noch etwas, das uns in Deutschland völlig fremd ist. Ein amerikanischer Polizist ist kein Profi, der jahrelang ausgebildet wird. Das ist ein Hilfsarbeiter, der in eine Uniform gesteckt wird. Mit einem Ausbildungsstand, den man von Sicherheitskontrollen am Flughafen kennt.

*) Es gibt eine Ausnahme. Zielfernrohre werden auch als Fernrohr genutzt, wenn man nicht schießen will.

Comments

Als ich 2009 das letzte mal in Amerika war habe ich zum ersten mal in meinem Leben ein Maschinengewehr "live" gesehen. Mal ganz davon abgesehen dass ich davor auch noch nie wirklich eine richtige Pistole gesehen habe, außer bei unserer Polizei im Halfter am Gürtel. Und dann stand da so einer hinter mir an der Supermarktkasse mit einem Maschinengewehr locker über seiner Schulter hängen. Die Gefühle die ich in diesem Moment hatte waren unbeschreiblich (schlecht). Von der will hier den Laden überfallen bis was ist wenn das Ding gleich losgeht. Am liebsten wäre ich davon gerannt, war aber schon mit dem bezahlen dran, also Augen zu und durch. Als ich draußen war hatte ich tränen in den Augen und war erst mal vollkommen fertig. Hätte nie gedacht dass mich so eine Situation so mitnehmen würde!
Seitdem hat mich dieses Thema irgendwie nicht mehr losgelassen, sowie es mir auch deutlich gezeigt hat was es hier für einen kulturellen Unterschied zwischen unseren Ländern gibt. Immerhin gibt es in den Staaten auch einige Leute die gegen Waffenbesitz sind, auch wenn der Kampf gegen die mächtige NRA aussichtslos erscheint. Ein paar Beispiele hierfür sind Michael Moore (Bowling for Columbine) oder auch @MomsDemand auf twitter.

Ralph Hammann, 2014-08-19

"Dazu kommt noch etwas, dass uns in Deutschland völlig fremd ist."
http://de.wikipedia.org/wiki/Freiwilliger_Polizeidienst

Die Trigger Happiness scheint andere Ursachen zu haben.

Tobias Müller, 2014-08-19

Ralph, das war wahrscheinlich kein Maschinengewehr, sondern ein Sturmgewehr. Und zwar dieses: http://bit.ly/1p8QR67

Tobias, das sind keine bewaffneten Kräfte.

Volker Weber, 2014-08-19

100% Zustimmung. Vielleicht sollte man noch sagen, dass die Glock - Standardpistole der US Polizei - nicht über eine herkömmliche Sicherung verfügt. Die Waffe ist quasi immer ungesichert fertiggeladen.

Und eigentlich ist das auch egal. Es sieht so aus, als sei der Krieg jetzt offen ausgebrochen: https://www.facebook.com/photo.php?v=10203577869121821

Richard Kaufmann, 2014-08-19

Guter Backgrounder zum Thema US-Polizei: http://usaerklaert.wordpress.com/2007/03/26/police-officer-sheriff-trooper-der-aufbau-der-us-polizei/

Und, ja, die englische Wikipedia hat auch was: http://en.wikipedia.org/wiki/Law_enforcement_in_the_United_States

Richard Kaufmann, 2014-08-19

Mein letzter zu dem Thema: http://www.youtube.com/watch?v=KUdHIatS36A

"In the wake of the shooting of Michael Brown in Ferguson, MO, John Oliver explores the racial inequality in treatment by police as well as the increasing militarization of America’s local police forces."

Richard Kaufmann, 2014-08-19

Gut gebrüllt, Löwe!

Ingo Seifert, 2014-08-19

Zu vowe:

Zielfernohr als Fernrohr ist ineffizient und dient hier natürlich eher der Einschüchterung. Ein normales Fernglas ist besser und wirkt nicht eskalierend. Aber vermutlich auch das ein Puzzleteil Deiner Fassungslosigkeit.

Zu den Kommentaren:

"Die spinnen, die Amerikaner mit ihren Waffen" ist hier wirklich nicht hilfreich und verutlich auch nicht vowes Thema.

Die Tendenz, dass Polizei Militärausstattung und Geheimdienstfähigkeiten für sich einfordern und teilweise auch kriegen, existiert auch hierzulande. Wer sich gepflegt gruseln will muss nur mal ein paar Wochen die PR-Statements der großen deutschen Polizeigewerkschaften oder einen typischen Innenpolitiker jeder Coleur lesen.

Und wie man auf Demos hierzulande erleben darf, schlagen auch deutsche Polizeirambos maskiert zu, während die Kollegen von der polizeilichen Videodokumentation mal kurz die Kamera zur Seite halten oder später die Aufnahme ganz zufällig verloren geht.

Natürlich ist Ferguson eine vollkommen andere Größenordnung, aber auch hier in Deutschland gibt es spaßorientierte Hooligan-Beamte, die wissen, dass sie nach der Demoprügelei keine Sanktionen zu erwarten haben.

Das einzige, was mir bzgl. Waffennarren zu Ferguson einfällt ist, dass genau dieser Vorfall eigentlich der Gegenbeweis zu Open Carry ist. Die Waffennarren behaupten ja immer, dass eine bewaffnete Bevölkerung den Staat daran hindert, zum Unterdrücker zu werden.

Hanno Zulla, 2014-08-19

Ich bin im Grunde auch über das Verhalten des Polizisten erstaunt/verwundert/schockiert, wenn ich höre, dass auf einen vermeintlich Unbewaffneten, der die Arme erhoben und den Kopf gesenkt haben soll, so oft geschossen wurde - und zwar eindeutig mit dem Ziel, ihn zu töten, da alle Treffer im oberen Köperbereich zu finden sind - so dass 6 Einschüsse vorhanden sind. Geht man davon aus, dass es auch Fehlschüsse gab, ist also ca. mind. 10mal auf einen Unbewaffneten geschossen worden.
Hier ist nicht einmal der Versuch erkennbar, eine nicht-tödliche Wunde - z. B. in ein Bein - zu landen (wobei ich aus eigener Erfahrung weiß, dass das nicht einfach ist).
Das schockiert mich im Grunde am meisten, dass hier direkt bewusst tödliche Gewalt ausgeübt wurde und ich bin sehr froh darüber, dass zumindest bisher in Deutschland anders verfahren wird.

Christian Henseler, 2014-08-19

Volker:
Machen wir jetzt das Nein/Doch Spiel? :-)

http://de.wikipedia.org/wiki/Freiwilliger_Polizeidienst
"Als Dienstwaffe wird jedoch noch die mittlerweile veraltete Walther P5 geführt."

Tobias Müller, 2014-08-19

Volker, auch ich 'durfte' die Ausbildung an so ziemlich allem von Faustfeuerwaffe bis Panzerfaust (dazwischen waren G3, MG3, Granatpistole, Handgranate...) 'geniessen'. Und ich gebe Dir Recht, wenn es auch für sonst nichts gut war, einen sicheren Umgang mit Waffen hat man dort gelernt. Ich versuche, alle paar Jahre mal auf einen Schießstand zu kommen, um es nicht ganz zu verlernen.

Ich habe bei diversen Aufenthalten z.B. in Texas (auf Schießständen) haarsträubende Zustände gesehen - links wird geschossen, rechts wird die Scheibe abgeklebt, die Aufsicht schläft. Kein Scherz.

Mal ganz hart ausgedrückt, bleibt blöd halt blöd - Gewöhnung macht das nicht besser, sondern schlimmer.

Ralph, an Schusswaffen an sich ist IMO nichts Schlimmes, als entscheidend empfinde ich aber den Umgang damit. Ich persönlich schieße immer wieder mal gerne, es ist halt (für mich) ein Geschicklichkeitssport wie viele andere auch.

Hubert Stettner, 2014-08-19

@christian: Das ist ein Problem der (Nicht-)Ausbildung. Und vielleicht eine Mentalitätsfrage. http://rt.com/usa/158960-miami-police-fired-hundreds-rounds Mehr als 100 Kugeln. Bei einem einzigen Vorfall.

Zum Vergleich: In Deutschland wurden im Jahr 2012 - von allen Polizisten ZUSAMMEN - 36 Kugeln gezielt abgefeuert. http://www.sueddeutsche.de/panorama/statistik-schusswaffengebrauch-deutsche-polizisten-schossen-mal-auf-menschen-1.1774198

Richard Kaufmann, 2014-08-19

Richard, das sind 36 Fälle, nicht 36 Kugeln.

Hanno Zulla, 2014-08-19

Ok, es waren doch 36 Kugeln: http://de.wikipedia.org/wiki/Waffengebrauch_der_Polizei_in_Deutschland

Hanno Zulla, 2014-08-19

Damit könntest Du recht haben Volker, so ungefähr sah das Teil aus. Es hat auf jedenfall Eindruck hinterlassen.

Hubert, ich habe nichts dagegen wenn jemand schießen als Sport betreibt, finde aber dann sollten die Waffen auch auf dem Sportplatz bleiben und nicht daheim im Keller gelagert werden - oder schon gar nicht zu einem Einkaufsbummel mitgenommen werden.

Ralph Hammann, 2014-08-19

Interessant dass dich gerade so ein Aspekt stört.
Was mich bei dem ganzen Situation viel mehr interessiert ist, warum ein einziger Vorfall (ganz egal wie es gewesen ist) eine solche gewalttätige Reaktion auslöst.
Die Grösse der Konflikte und sozialen Spannungen welche dort bestehen muss, sind für mich das eigentlich Überraschende. Und dabei ist St.Louis gar nicht so eine Riesenmetropole, sondern mit einer durchschnittlichen Stadt bei uns vergleichbar. Bei LA habe ich es Verstanden, als in Paris Autos brannten war ich verwundert.
Bei beiden dachte ich es wäre an der Grösse der Städte. Mir ist klar dass wenn irgendwo "Ghettos" entstehen, in denen die Bevölkerung keinerlei reale Chance auf Verbesserung sieht, Konflikte vorprogrammiert sind.
Ich bin nur Froh dass es bei uns derzeit noch bei weitem nicht so weit ist.

(Als in Ö ein Polizist einen unbewaffneten 14-jährigen Dieb erschossen hat, gab es auch grosse Diskussionen. Aber es gab keinerlei Tendenzen dass deswegen irgendwelche gewalttätigen Auseinandersetzungen entstehen.)

Hynek Kobelka, 2014-08-19

Hynek: Zu dem Thema empfehle ich das aktuelle Buch von Matt Taibbi: https://en.wikipedia.org/wiki/The_Divide:_American_Injustice_in_the_Age_of_the_Wealth_Gap - es hat nichts mit der Größe der Städte zu tun, es hat auch nichts damit zu tun, dass das ein einzelner Fall ist (ist es nicht). Es hat damit zu tun, dass die ärmere und vor allem die nicht-weiße Bevölkerung der USA seit Jahren einem ganz anderen Druck von Seiten der Polizei unterliegt, als der Rest der Bevölkerung. Ich denke, hier ist ein Ventil aufgegangen.

Und ja, das ist bei uns anders. Und ich hoffe, dass das auch so bleibt.

Was mich am meisten erschreckt ist die Ausrüstung der Polizei dort. Das ist Militärmaterial, das MIlitär ist aber daran ausgebildet. Die Polizei? Siehe oben.

Ralph Angenendt, 2014-08-19

@Ralph: hoffentlich musst Du nie ins IBM Trainingszentrum in Islamabad/Pakistan. Das erste was einen beim Ausgang anschaut ist die Mündung eines Maschinengewehres. In Bangalore übrigens auch - In Deutschland und weitestgehend Europa sind wir schon auf einer oberflächlich sehr sicher scheinenden Insel.

Ingo Harpel, 2014-08-19

Ich gebe zu, der Film ist ein wenig polemisch, aber in diesem Kontext immer wieder sehenswert: http://www.youtube.com/watch?v=XORCYavjhk0

Eckhard Eilers, 2014-08-21

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