Was ich von Frau Brandlinger gelernt habe

by Volker Weber

FrauBrandlinger

Ich bin seit 2014 mit Frau Brandlinger unterwegs und muss mal von meinen vielen Begegnungen mit anderen Menschen und Hunden erzählen. Hunde fördern die Kommunikation. Man kommt mit wildfremden Menschen ins Gespräch und man erlebt viele komische Situationen.

Was Hundehalter wissen und andere Menschen nicht: Alle Hunde sind identisch "programmiert". Sie sprechen absolut die selbe Sprache. Leider verstehen viele Menschen diese Sprache nicht. Und das führt zu Missverständissen. Das wichtigste Missverständnis vorne weg: Menschen mögen es, wenn man ihnen direkt in die Augen schaut und wenn man sie umarmt. Beides empfinden Hunde als Bedrohung. Man sagt, der Hund spürt, wenn Du Angst hast. Das ist zwar richtig, trifft aber nicht den Kern. Wenn Menschen Angst vor einem Hund haben, dann starren Sie ihn an und bedrohen ihn damit. Und wenn der Hund zu lächeln scheint, dann hat er Angst. Wie soll man sich verhalten? Wie ein Baum. Den Hund einfach ignorieren und vorbei schauen. Hunde kommunizieren per Körpersprache und erkennen schon allerkleinste Gesten. Wegschauen ist nicht etwa Feigheit, sondern Respekt.

Wenn ich mit Frau Brandlinger an der Leine laufe, dann schaue ich jeden Menschen an, der mir entgegen kommt. Ich sehe sofort, ob der Mensch sich über den Hund freut und nur dann lasse ich ihr genug Leine, dass sie die Privatspähre betreten darf, die jeder Mensch um sich herum hat. Es hilft, wenn man selbst freundlich guckt. Das muss ich bewusst machen. Wenn ich mich entspanne, dann gucke ich böse.

"Wie der Herr, so's Gescherr" trifft ganz besonders auf Hunde und Hundehalter an. Wenn der Mensch entspannt ist, dann ist es auch das Tier. Die allermeisten Halter kleiner Hunde sind sehr um ihr Tier besorgt und zerren es an der Leine weg, um Begegnungen mit anderen Hunden zu vermeiden. Ich kann sie manchmal dazu überreden, mal loszulassen. Und dann sehen sie ganz verwundert, dass sich ihr aggressiv bellendes Tier plötzlich ganz anders verhält. Gibt man den Hunden ihre Freiheit, dann setzt die Programmierung ein und sie können sich begrüßen.

Der Hund findet Dich. Das gilt im Großen wie im Kleinen. Ich habe Frau Brandlinger nicht gesucht. Es hat sich einfach so ergeben, dass sie am besten zu mir passt. Und wenn ich sie draußen aus den Augen verliere, muss ich nur stehen bleiben. Sie findet mich. Ich kann ihr helfen, in dem ich sie rufe. Aber sie kommt, weil sie will. Nicht weil sie muss. Eine Leine braucht ich nur, weil Eichhörnchen wichtiger als Autos sind.

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Trivia: Warum heißt Frau Brandlinger Frau Brandlinger? Weil sie nicht auf diesen Namen hört. Ich kann ihn sprechen, ohne dass sie darauf reagiert. Frau Brandlinger heißt nur in dritter Person Frau Brandlinger .

Comments

Sehr schön geschrieben! Insbesondere die Aussage "Der Hund findet Dich.". Ich glaube, gerade das ist ein entscheidender Punkt ob das Band zwischen Hund und Halter(n) mehr ist als nur ein konditioniertes Verhalten. So wie du schreibst: Frau Brandlinger kommt weil sie will und nicht weil sie muss.

Stefan Brandl, 2017-01-18

Eine Anmerkung aus eigener Erfahrung:
Manche Hunde schätzen ihre Privatsphäre ebenfalls und mögen es nicht (immer) von anderen Hunden begrüßt/beschnüffelt zu werden. Wenn dann ein distanzloser Artgenosse ohne Leine wie ein Magnet am Hintern eines (zwingend) angeleinten Hundes klebt kann es schnell zu (berechtigten) Reibereien kommen.

Letzen Sonntag erst hat uns in der Eifel eine Hälfte eines Rhodesian-Ridgeback-Paars mehrere hundert Meter verfolgt, weil sein Frauchen den Rüden nicht nur anleinen, sondern mit beiden Armen festhalten musste und dementsprechend die Hündin nicht mehr unter Kontrolle halten konnte. Üblicherweise hätten wir unsere beiden Hunde einfach abgeleint und Deine beschriebene Programmierung hätte auch gestartet - leider sind vor Ort nicht nur Eichhörnchen. So war ich dann fast gezwungen, den Rhodesian Ridgeback von unseren Hunden wegzutreten.

Markus Jabs, 2017-01-18

Ja, es gibt auch eine "richtige" Größe bei Hunden. Ridgebacks sind für meinen Geschmack etwas groß. Die kann man wirklich schwer kontrollieren. Hier gibt es auch einen sehr flegelhaften Ridgeback, den Frau Brandlinger einmal schmerzhaft zurecht weisen musste. Frau Brandlinger ist so entspannt, weil sie ein "Jackie Chan" ist. Brutal schnell, extrem gut trainiert, zugleich zurückhaltend und sehr freundlich.

Volker Weber, 2017-01-18

"Es hilft, wenn man selbst freundlich guckt. Das muss ich bewusst machen. Wenn ich mich entspanne, dann gucke ich böse." - schön zu lesen das ich nicht der einzige mit dem "Problem" bin :-)

Daniel Meyer, 2017-01-18

Bei Frauen nennen Amerikaner das "resting bitch face". ;-)

Volker Weber, 2017-01-18

Nur ein paar kleinere Anmerkungen, wir haben selber zwei Hunde und meine Frau ist Hundetrainerin ("educating people to train their dogs").

Hunde bilden nicht mit wildfremden Hunden ein Rudel. Dass wildfremde Hunde eine Rangordnung festlegen müssen ist überholtes tradiertes Wissen.

Unsere Hunde sind Kulturfolger, die sich von Zivilisationsabfällen ernährt haben. Sie sind in Bezug auf Ernährung eher beim Menschen (oder Strassenhunden) als beim Wolf. Der Haushund "entstand" vor etwa 16.000 Jahren ...

Hunde leben in einer Menschenwelt, unsere Aufgabe ist es, ihnen zu helfen, sich darin zurechtzufinden ("Eichhörnchen und Autos").

Hunde müssen sowohl körperlich wie auch geistig gefordert und gefördert werden, genau wie beim Menschen.

Die aktuellen Hunde sind in der Regel das Resultat einer vom Menschen beeinflussten Zucht, bei der häufiger auf Aussehen als auf Robustheit und Charakter gezüchtet wurde und wird.

In verschiedenen Rassen sind verschiedene Fähigkeiten stärker ausgeprägt ... (Ich kann bestimmt Klavier spielen lernen, aber für die Brillanz fehlt mir Talent). Es gibt Jagdhunde, die hüten und Hütehunde, die jagen ...

Hunde haben - trotz gleicher Rasse - unterschiedliche Charaktere.

Zu Deinem Wolf-Vergleich: Menschen haben untereinander eine genetische Übereinstimmung von 99,9% - Inuit sind Kälteunempfindlicher als Äquatorialafrikaner.

Dirk Deimeke, 2017-01-18

Mein Vergleich mit dem Wolf bezieht sich auf diesen Unterschied: http://imgur.com/HbCppAj Du musst Dir nur anschauen, was Menschen in den letzten Hundert Jahren so angerichtet haben. Mischlinge, vor allem in der x-ten Generation, egalisieren diese vom Menschen geschaffenen Probleme wieder. In dem Sinne kann Dir nichts besseres passieren als ein Hund, der eine lange Ahnengalerie von Straßenkötern hat.

Sehr schön, dass Deine Frau Hundehalter trainiert. Die können das gebrauchen. ;-)

Volker Weber, 2017-01-18

Möpse sind ein echtes Kunstprodukt. Ganz furchbar, was da geschaffen wurde (das meine ich nicht auf den Charakter der Hunde bezogen).

Bezüglich Mischlingen und Strassenhunden gebe ich Dir völlig Recht, das wollte ich mit der Aussage über Zuchten in Bezug auf Robustheit auch unterstützen.

Wenn man die Evolution (oder Strassenhunde) machen lässt, sollte man sich über "Form follows Function" noch einmal Gedanken machen:

Spitz zulaufende Schnauze, eng zusammen liegende Augen sind eher die Kennzeichen von Jägern: Gute Möglichkeiten zu fokussieren, ...

Breites Mail, weit auseinander liegende Augen sind die Kennzeichen von Hütern: Guter Rundumblick (weites Gesichtsfeld), ...

Ich kann das an unseren Hunden beobachten: Gleiche Rasse, einmal hütend und einmal jagend.

Dirk Deimeke, 2017-01-18

Bist halt ein Menschenflüsterer.

Thomas Cloer, 2017-01-18

Andererseits macht man aus einem Jagdhund keinen Hütehund und umgekehrt. Hundeerziehung hat definitiv Grenzen.

Drei Dinge noch die ich nach 14 Jahren Hund (meine Podenco-Strassenköterine verstarb letzten Herbst) gelernt / geschätzt habe:

- Hunde verstehen weder Deutsch noch andere Menschensprachen. Von einigen Kommandos vielleicht abgesehen. Wichtig ist aber "wie" man etwas sagt. Der Ton macht hier die Musik. Wenn man mit freundlicher Stimme einen Hund anspricht dann merkt dieser das.

- Hunde haben kein echtes Erinnerungsvermögen in Bezug auf eigene Taten. Nein, sie wissen nicht dass sie was falsch gemacht haben wenn man 3 Stunden später mit Ihnen schimpft weil z.B. der Mülleimer ausgeräumt wurde. Sie merken aber sofort wenn Herrchen / Frauchen sauer sind, das wird dann als "Schuldbewusstsein" interpretiert. Überhaupt sind Hunde Meister in der Interpretation von Menschenstimmungen und Gesten. Das ist sogar bewiesen.

- Hunde lügen nicht. Für mich einer der wichtigsten Eigenschaften des Tieres und der größte Mangel bei Mensch. Wenn Hunde sich freuen dann tun sie das wirklich. Ohne Hintergedanken..außer vielleicht einer Vorfreude auf Leckerlis....

Roland Dressler, 2017-01-18

Was ist ein Jagdhund? Ein Hund mit jagdlichen Anlagen? Ein Hund einer bestimmten Rasse? (Was ist mit Hunden einer Jagdhunderasse, die keine jagdlichen Anlagen zeigen?)

Das fehlende Erinnerungsvermögen macht es schwierig mit Strafen zu arbeiten.

Hunde verknüpfen nur etwas, was maximal 0.8 Sekunden auseinander liegt (ebenfalls wissenschaftlich bewiesen). Wenn ein Hund auf "Rufen" nicht reagiert und bestraft wird, weil er ja nicht auf das Rufen reagiert hat, dann bestraft man das Zurückkommen.

Dirk Deimeke, 2017-01-18

Schön beschrieben. Wir sind froh, einen reinrassigen Strazupro* als Teil unseres Familienrudels zu haben :-)

(*: Straßenzufallsprodukt)

Torsten Hoffmann, 2017-01-18

[Kleiner Rollback wegen http://xkcd.com/386/]

Volker Weber, 2017-01-18

Sehr schön geschrieben Volker! Danke fürs Teilen :)

Claude Lehmann, 2017-01-18

Schön geschrieben & wir haben sehr ähnliche Erfahrungen seit 2011 gemacht. Unser Mischling (schlankes Kerlchen, 8kg bei 40cm Schulterhöhe) frisst übrigens nicht was man ihm vorsetzt und dann noch mehr ... wenn er mal wieder bei Oma war und zu viele Leckerli bekommen hat verweigert er sogar die normale Ration!
Ich hatte mich übrigens immer gefragt wie Du "Frau Brandlinger" herbeirufst ... aber das ist ja nun auch geklärt.

Axel Koerv, 2017-01-18

Oh, das ist Frau Brandlingers Traummann. Sie liebt schlanke Kerle. :-) Es gibt hier übrigens eine Hündin namens Coco Chanel, die mit "Frau Chanel" angesprochen werden will. Der Hundehalter fuchtelt dabei ein wenig.

Volker Weber, 2017-01-18

Schön geschrieben! Wann du das im Bild anschauen möchte, seh mal die Shows die Cesar Milan veranstaltet. Ich denke Ihr seit beiden die selbe Meinung uber die Hundepsyche.

Entschuldigung wann dies nicht genau die Gramatikregeln übereinstimmt. Meine Deutsch von der Schüle ist ein bißchen rostig...

Lars Berntrop-Bos, 2017-01-19

Viel wahres in Deinen Worten.
Ist auch immer schön wenn man gemeinsam mit seinem Hund etwas machen kann das seinem Naturell entspricht.
Seit Carlos kontrolliert seiner Jagdleidenschaft nachgehen darf sind wir ein viel besseres Team und man merkt wie entspannt er danach ist.

Stefanie Wörtche, 2017-01-19

Dirk, ein Jagdhund ist ein Hund der jagt :-)

Natürlich lassen sich innerhalb von Züchtungen Eigenschaften bei Hunden verstärken. Genau so wie das Aussehen gezüchtet wird. Was nicht heißt dass jede Jagdhund Züchtung auch jagt.

Und einem Hund mit einem starken Jagdtrieb wird man das nur schwerlich abgewöhnen können. Was eigentlich meine Kernaussage war. Meine Podenco Dame war eine leidenschaftliche Kaninchenjägerin. Und sie konnte unter einer 1/2 Meter dicken Schneedecke eine Maus fangen allein durch Gehör. Das bringt man einem Mops nur schwer bei, was nicht heißt dass es keine Möpse gibt die so etwas nicht können.

Auch wichtig: Gib dem Hund einen Job. Nicht ist schlimmer als wenn der Hund sich langweilt oder nicht artgerecht beschäftigt wird. Ein Windhund z.B. muss rennen, den kann man z.B. nicht den ganzen Tag an der kurzen Leine Gassi führen. Ein Retriever apportiert vielleicht gerne usw. Meine Meinung.

Roland Dressler, 2017-01-19

Roland, völlig richtig. Die Hunde die unterbeschäftigt sind und sich langweilen sind dann entweder nörgelnde Nervensägen oder suchen sich alleine eine genehme Beschäftigung. Beides stößt bei Menschen dann meist auf wenig Gegenliebe weil entweder die Lautstärke unpassend für das Umfeld ist oder das gefundene Spielzeug die neue Couch war.

Wie Volker schreibt, wenn der Hund körperlich und geistig beschäftigt war ist er müde und brauch reichlich Schlaf, gerne auch mal 18h am Tag.

Sven Semel, 2017-01-19

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