Rezept für digitale Souveränität

Es wird dieser Tage so gerne die digitale Souveränität heraufbeschworen. Ich sitze im stillen Kämmerlein und mache mir so meine Gedanken dazu. Wer soll eigentlich die notwendige IT-Infrastruktur dafür bauen, mit der wir 20 Jahre Rückstand aufholen könnten? Wir haben doch Jahrzehnte alle Jobs nach Indien, Rumänien und den Rest der Welt exportiert. Wer heute mit Informatik-Abschluss von der Uni kommt, der hat keineswegs tolle Berufsaussichten.

Und wenn Deutschland dann mal was selbst baut, dann kommt sowas raus wie das E-Rezept. Wir erinnern uns: Früher ist man zum Arzt gegangen, hat sein Kärtchen vorgezeigt und ein Blatt Papier bekommen. Da stand drauf, welche Medikamente man verschrieben bekam.

Heute geht man mit seinem Kärtchen zum Arzt und bekommt das Rezept “auf die Karte gespeichert”. Ja, das ist schwer zu verstehen. Das Rezept ist eigentlich nicht auf der Karte sondern auf einem Server. Das heißt, es ist natürlich noch gar nicht auf dem Server, denn dazu muss der Arzt nämlich seine Karte nutzen, um das Rezept digital zu unterschreiben. Dazu muss er dann noch seine Pin eingeben und durch einen brennenden Reifen springen. Das macht er nicht für jeden Patienten einzeln sondern dann, wenn er mal seine Behandlung für Verwaltungstätigkeiten unterbrechen kann.

Bevor ich also in die Apotheke latsche, möchte ich gerne mal mein Rezept sehen. Ist es überhaupt schon da? Die Krankenkasse hat dazu eine schicke App, bei der ich mich nur anmelden kann, nachdem mir die Krankenkasse einen Brief mit einer Pin geschickt hat. In der App sehe ich dann, dass ich mit meiner Pin keinen Zugang zu meinem eigenen Rezept habe, sondern mich mit einer weiteren ID anmelden soll.

Für diese ID brauche ich entweder mein Kärtchen und eine dazugehörende andere Pin. Die habe ich noch nicht, aber die kann ich auf der Webseite der Krankenkasse anfordern. Dazu muss ich mich dort mit meinen Zugangsdaten anmelden. Sie raten richtig, mit anderen Zugangsdaten.

Diese App, mit der ich meine Identität soweit beweisen kann, dass ich mein E-Rezept, das früher mal ein Zettel war, einsehen kann, hat noch eine weitere Möglichkeit. Ich kann meinen Personalausweis einlesen, für den ich natürlich noch eine andere Pin habe. Das probiere ich also und die App fordert mich auf, wieder eine neue Pin für meine digitale Identität anzulegen. Sie kommen noch mit beim Mitzählen, ja?

Dummerweise verabschiedet sich diese App dann mit der lakonischen Mitteilung, leider sei ein unerwarteter Fehler passiert. Ich soll es noch mal probieren. Nach dreimaligen Probieren schreibe ich lieber diesen Text.

Halt! Ich muss ja gar nicht die App der Krankenkasse verwenden, die mich mit meiner Pin nicht an mein Rezept lässt, aus Sicherheitsgründen versteht sich. Die Gematik hat eine eigene E-Rezept App.

Um die zu verwenden, brauche ich nicht etwa meinen Personalausweis, zu dem ich ja meine Pin kenne, sondern diese Identitäts-App der Krankenkasse, die es nicht schafft, mir mithilfe des Personalausweis eine neue Pin anzulegen. Schachmatt.

Die Krankenkasse schickt mir dann also zu meiner Krankenkassen-Karte noch eine Pin per Schneckenpost. Aus Sicherheitsgründen. Mit der kann ich vielleicht mein E-Rezept einsehen, nachdem ich, siehe oben, eine neue Pin angelegt habe.

Der Treppenwitz: Zweimal im Jahr muss ich meine Identität auf meinem eigenen Telefon wieder neu beweisen, wenn ich mein Rezept sehen will. Und ich muss viermal im Jahr meine Krankenkassenkarte zu meinem Arzt schleppen, auch wenn das mehrere Jahre lang dieselbe ist.

So sehen souveräne digitale Prozesse in Deutschland aus.

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