
Heute hat Frau Brandlinger im Alter von 14,5 Jahren ihren letzten Atemzug getan.
In Griechenland geboren, über den Tierschutz nach Deutschland gekommen, hat sie zunächst auf einer Pflegestelle gelebt. Mit knapp drei Jahren wurde sie von einer befreundeten Familie adoptiert, wo sie nach einem halben Jahr nicht mehr zu den Lebensumständen passte. Wir haben sie zunächst vorübergehend aufgenommen und dann nicht mehr hergegeben. Wir haben die Vereinbarung gebrochen, weil sie mittlerweile uns adoptiert hatte.
Sie hat uns die Hundesprache beigebracht. Völlig lautlos, nur durch eine sehr subtile Körpersprache verstehen sich alle Hunde untereinander. Menschen müssen das erst mal lernen. Bellen oder knurren ist erst notwendig, wenn der andere nicht kapiert. Ich bin davon überzeugt, dass die Hundeschule eigentlich eine Menschenschule ist.
Wir wissen nicht, wie ihr Leben verlief, bevor sie zu uns kam, aber danach hat es ihr an nichts gefehlt. Obwohl, wenn man sie gefragt hätte, dann hätte sie nur “Wurst, Wurst, Wurst” gesagt. Ihre Art, sich zu beschweren, bestand darin, jedermann anzubetteln, der nur entfernt nach Fressbarem roch.
Ein Hund wird zu einem richtigen Familienmitglied. Wir haben gut auf sie aufgepasst. Dennoch ist sie auf stundenlangen Spaziergängen immer wieder mal ausgebüxt und wir haben anfangs versucht, sie zurückzurufen. Wir sind erst später auf den Trichter gekommen, dass sie durch die Rufe stets genau wusste, wo wir sind. Sie konnte also weiter fremde Spuren verfolgen. Fand sie einmal irgendwo etwas zu fressen, musste dieser Ort bei jedem weiteren Spaziergang wieder inspiziert werden. Könnte ja sein, dass da wieder was lag.
Nachdem wir sie verstanden haben, haben wir uns einfach mucksmäuschenstill hinter einem Baum versteckt, bis sie uns gesucht hat. Es hat nie länger als fünf sehr lange Minuten gedauert, bis sie auf der Suche nach uns vorbeigaloppiert kam, um dann in einer Staubwolke bremsend schweifwedelnd zu uns zu kommen. “Gotcha!”
Frau Brandlinger war kein geselliger Hund. Freilaufend ist sie anderen Rudeln stets ausgewichen. Dafür war sie bekannt: Ein Hund, der sich ins Gebüsch schlägt, um dann zweihundert Meter später wieder aufzutauchen. Sie hat uns stets vor Eichhörnchen und anderen wilden Tieren beschützt. Wenn wir im Dunkeln einer fremden Person begegneten und sie tief grollend nach vorne ging, habe ich ihrem Urteil mehr vertraut als meinem eigenen.
Bis zum Beginn der Pandemie war sie stark auf mich fixiert. Als die Chefin nicht mehr morgens ins Büro fuhr, verschob sich das ein wenig. Jeden Morgen gingen die beiden zusammen raus, danach war ihr Platz im Home-Office. Dort hat sie Wunder gewirkt. Bei jedem Ärgernis muss man nur einen kurzen Blick auf einen glücklichen Hund werfen und die Welt sieht gleich wieder besser aus.
Frau Brandlinger war ihr ganzes Leben putzgesund. Sie hat jährlich ihre Impfungen bekommen und sie ist immer gerne zum Tierarzt gegangen. Vorletztes Jahr haben wir festgestellt, dass sie taub wurde. Nicht etwa, weil sie nicht hören wollte. Auf einmal konnte man sich ihr unbemerkt nähern. Das hat ihr Leben nicht beeinträchtigt. Sie wurde etwas anhänglicher und lief nicht mehr so weit voraus, weil sie uns nicht mehr mit den Ohren orten konnte. Und sie musste sich nicht mehr die Beschimpfungen der Krähen und der Eichhörnchen anhören.
14,5 Hundejahre entsprechen ziemlich genau 100 Menschenjahren. Und die sind sehr plötzlich zu Ende gegangen. Vor gut drei Wochen wollte sie nicht mehr fressen. Wir konnten sie noch ein bisschen mit Wurst, Wurst, Wurst überzeugen, aber sie war entschlossen, dass sie nun gehen will.
Uns bleiben nur wunderschöne Erinnerungen.











